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Das Wort zum Sabbat – Archiv

– Artikel vom 30.12.2017 –

Der "Ernst" unserer Gebete

Wer viel fliegt oder mit der Bahn unterwegs ist, gewöhnt sich an die routinemäßigen Ansagen der Flugbegleiter bzw. des Bahnpersonals. Ich habe es erlebt, dass eine neue Flugbegleiterin die Sicherheitshinweise vor dem Start und wieder vor der Landung vom Blatt ablesen musste. Ich habe es auch erlebt, dass eine Flugbegleiterin, die solche Ansagen schon jahrelang gemacht hatte, sie einfach aus dem Gedächtnis aufsagen konnte.

Man stellt sich die Flugbegleiterin vor, die nach einem langen Flugtag mit mehreren Kurzstrecken beim letzten Flug an ihrem Arbeitstag die Fluggäste vor der Landung auffordert, sich auf die Landung vorbereiten. Mit müder Stimme leiert sie die Sätze herunter und sagt dann zum Schluss der Ansage, wie sie es immer tut: "Im Namen der Fluggesellschaft wünsche ich Ihnen weiterhin einen wunderschönen Tag." Der trockene, müde Ton der Worte, mit denen sie ihre Ansage beendet, steht im Kontrast zur Bedeutung ihres abschließenden Wunsches an die Fluggäste.

In der 9. Klasse begegnete ich zum ersten Mal der Algebra als Unterrichtsfach. Wir hatten einen strengen Lehrer, der ein Bein im Krieg verloren hatte und dafür eine Prothese hatte. Er ging durch die Reihen im Klassenzimmer mit einem Stock und klopfte immer energisch gegen die Prothese, wenn unsere Erklärung der Rechenaufgabe nicht stimmte. Seine Aufforderung lautete immer: "Meinen Sie, was Sie sagen, und sagen Sie, was Sie meinen."

Beim Anhören der Worte der Flugbegleiterin würde mir der Satz meines Algebralehrers in den Sinn kommen. Meinte sie ihren Wunsch wirklich?

Die Evangelien berichten uns, dass Jesu Jünger das Beten lernen wollten. Sie baten Jesus um Anleitung. Er gab sie ihnen -- und auch uns -- in der Form des Mustergebets, das wir das Vaterunser nennen. Wenn wir das Beten lernen, halten wir uns vielleicht bewusst an die Bereiche, die Jesus im Vaterunser umriss. Uns fehlt die Routine, und es hilft, eine Anleitung zu haben -- wie der neue Flugbegleiter, der sich an den Wortlaut der Ansagen hält.

Später kann das Gebet zur Routine werden. Wir wiederholen uns. Wir verwenden dieselben Formulierungen. Nach jahrelanger Erfahrung mit Gott wirken wir beim Gebet manchmal müde oder desinteressiert. Die Worte kommen uns zwar über die Lippen, aber sie entspringen der Routine und nicht der Inbrunst.

Jesus warnt uns davor zu meinen, dass wir erhört werden, wenn wir "viele Worte machen" (Matthäus 6,7). Tragen wir dafür Sorge, dass Gott nie Anlass hat, die Frage zu stellen: "Meint er/sie das wirklich?"

In diesem Sinn wünsche ich allen einen gesegneten Sabbat.

In christlicher Verbundenheit

Paul Kieffer

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